• Mich wundert, dass dieser Film hier noch gar nicht angesprochen wurde, vorallem weil es sich im weitesten Sinne auch um Luftfahr handelt.


    Zitat von ARD

    Darf man 164 Menschen töten, um 70.000 zu retten? Durfte der Kampfpilot Lars Koch ein Passagierflugzeug abschießen, um zu verhindern, dass ein Terrorist dieses auf ein vollbesetztes Fußballstadion stürzen lässt? Ist Lars Koch ein Held oder ein Mörder? Darüber verhandelt die große Strafkammer des Schwurgerichts Berlin.


    ARD - Mediathek

    Schweres und spannendes Thema. Lohnt sich zu gucken.

    Prozessor: AMD Ryzen 7 7800X3D - ASUS TUF-RTX 4090 - DDR5 6000 32GB - Betriebssystem: Win11 64bit - P3D v5.3 MSFS - Eulenmitglied seit 26.02.2009

  • Der Autor des Fernsehspiels hat nur einen Paragraphen vergessen:


    (1) Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies gilt nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen; jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden, wenn der Täter nicht mit Rücksicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis die Gefahr hinzunehmen hatte.
    (2) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig Umstände an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen würden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. Die Strafe ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.


    Wenn man also Moral ( die in beiden Sendungen hoch hergepeitscht wurde) und das geltende Recht gegenüber stellt, dann offenbare sich diametrale Unterschiede, die die eigentliche Basis der Diskussion bilden.
    Und wenn man in den Polizeigesetzen schon das Recht auf Leben einschränken kann ( Stichwort: Finaler Rettungsschuss- und ja der ist auch zulässig bei Personen unter 14 Jahren), dann hätte das Verfassungsgericht lieber gleich diese ganzen Gesetze und Polizeiverordnungen mit kassieren sollen.
    Fernsehgeschichtlicher Tiefpunkt, da kann man sich gleich Climbing for Dollars antun.....oderso etwas

    "When my time on Earth is gone, and my activities here are past, I want they bury me upside down, and my critics can kiss my ass."Bob Knight


    „Natürlicher Verstand kann fast jeden Grad von Bildung ersetzen, aber keine Bildung den natürlichen Verstand.“Arthur Schopenhauer

    • Offizieller Beitrag

    Wenn man also Moral ( die in beiden Sendungen hoch hergepeitscht wurde) und das geltende Recht gegenüber stellt, dann offenbare sich diametrale Unterschiede, die die eigentliche Basis der Diskussion bilden.

    So ist es.
    Aber unsere Verfassung sagt eben, dass ein Leben so viel Wert wie 20.000.000 ist.
    Daher ist der Pilot auch schuldig, hat allerdings moralisch richtig gehandelt.

    Hättest du das Flugzeug abgeschossen, wenn deine Frau an Board gewesen wäre?

  • Der liebe Herr Thomas Fischer (Bundesrichter in Karlsruhe) hat ins seinem sehr ausführlichen Kommentar (siehe hier) noch einmal Stellung zu diesem fiktiven Fall bezogen.

    Wichtig für ihn ist die Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit/Rechtmäßigkeit einerseits und Schuld/Unschuld andererseits. Sein Fazit ist, dass der Pilot obwohl er rechtswidrig gehandelt, sich nach Paragraf 35 StGB für schuldlos erklären kann, aufgrund eines "übergesetzlichen Notstands".

    "Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige (!) Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. (…)"

    Ein Freispruch wäre in einem echten Fall also denkbar.

    Gleichwohl zerreißt der Herr, den Film und das Theaterstück über allem Maße als realitätsfern aber lest bitte selber.

    Ich persönlich fand den Film sehr gut. Es ist zwar keine Strafwissenschafts-Stunde in der Uni aber es versucht doch zumindest den Zuschauern eine sehr komplexe Fragestellung näher zu bringen, nämlich muss oder darf man sich in absoluten Extremsituationen über das geltende Recht hinwegsetzen, für eine übergeordnete Handlung. In diesem Fall die Rettung von 70.000 Menschen. Ich sage klar JA.

    Ein nicht handeln damit zu erklären, dass die Würde der Menschen am Board unantastbar ist, ist richtig aber absolut realitätsfern, wenn man sich die daraus folgende Konsequenz vor Augen führt. Ein herbeigeführten Absturz auf eine Massenveranstaltung zuzulassen, weil man sich auf Artikel 1 des Grundgesetzes beruft, würde im Ernstfall zu einer Staatskrise führen. Am Ende würde vermutlich jeder involvierte Amtsträger (Kanzler, Verteidigungs-, Justiz-, Innenminister etc.) vom Amt zurücktreten. Und die Gesellschaft hat spätestens ab Eintritt des nicht verhinderten Terror-Ereignisses seine Meinung zu dem derzeit geltendem Gesetz massiv geändert.

    Und zu der Frage: Abschuss auch bei Anwesenheit eines näheren Verwandten am Bord, stellt sich eigentlich gar nicht. Entweder weiß der Pilot um diesen Umstand und würde gar nicht ins Cockpit steigen dürfen, schließlich gibt es ja mehrere Piloten in Alarmbereitschaft und zweitens hat dies nichts mit seiner Verantwortung zu tun, die er gegenüber der Bundesrepublik Deutschland hat. Erkläre ich mich bereit dazu diesen Job als Pilot auszuüben, habe ich ganz klar die Pflicht den Abschuss im Notfall durchzuführen, falls nicht habe ich dort nichts zu suchen. Also auch hier ein klares JA. Das wäre meine Einstellung als Pilot hierzu, würde man mich im Bewerbungsprozess dazu befragen.

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    Einmal editiert, zuletzt von Stingrey (19. Oktober 2016 um 14:48)

  • Zitat von § 35 StGB Entschuldigender Notstand

    [...] um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer ihm nahestehenden Person abzuwenden [...]

    Der Pilot hat durch den Abschuss des Flugzeugs weder von sich, einem Angehörigen noch einer ihm nahestehenden Person Gefahr abgewandt. Deshalb kommt der Entschuldigende Notstand in diesem Fall nicht zum Tragen. Darauf wurde im Übrigen auch in der Verhandlung eingegangen.

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  • Du hast recht, vermutlich ist es besser den ganzen Auszug seines Kommentars hierzu zu zitieren:

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  • Boeingman schrieb

    Hättest du das Flugzeug abgeschossen, wenn deine Frau an Board gewesen wäre?

    Hättest du das Flugzeug weiterfliegen lassen wenn deine Familie im Stadion gewesen wäre?
    Oder wir hätten das Stadion räumen lassen und das Flugzeug fliegt dann in die größte Menschenansammlung? Oder zig Leute würden zu Tode getrampelt in einer Massenpanik?
    Oder das Flugzeug wäre in ein alternatives Ziel geflogen?
    Das erste Verbrechen blieb ja nahezu unerwähnt. Diese könnte man hier in diesem Fall als casus fortuitus ,wenn man so wöllte....
    Denn wenn man es genau nimmt, waren die Geiseln schon zu dem Zeitpunkt tot, als der Selbstmordattentäter mit ihnen zusammen abhob und dessen Plan umgesetzt wurde.
    Das Theaterstück bedient sich einer schuld-ausschließenden Pflichtenkollision. Wir haben demnach einen Straftatsbestand durch Unterlassung und einen der durch eine Tat an sich ursächlich ist.
    Ersteres ist im Stück durch die ausbleibende Räumung des Stadions ersichtlich. Zweiteres durch die alleinige Entscheidung des Rottenführers.
    Der Pilot hat also nur die Wahl, wie er es am besten falsch macht
    Die Sendung suggerierte, dass der Sachverhalt nicht mit juristischen Mitteln zu lösen sei, dass es irgendwie eine Lücke gäbe, die verhindere eine Entscheidung zu finden. Das war hier aber nicht so. Hier lag geradezu klischeehaft der Fall eines übergeordneten Notstandes vor. Dieser wird im Bereich der Schuld geprüft. Im Stück wurde die Rechtswidrigkeit und die Schuldhaftigkeit der Tat fröhlich vermischt.

    Er entlarvt auch Peters verlinkten Paragraphen.

    Du hast jedoch den §49 StGb übersehen, auf den dort verwiesen wurde.

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    Einmal editiert, zuletzt von The Big Lebowski (19. Oktober 2016 um 17:55)

  • Im Grunde ist die Sendung aus philosophischer Sicht noch eine recht simple Übung. Das ist einfach eine Adaption des Trolley-Problems, welches jeder Philosophie-Student kennt und welches als Utilitarismus-Kritik immer wieder angeführt wird:

    Eine Straßenbahn ist außer Kontrolle geraten und droht, fünf Personen zu überrollen. Durch Umstellen einer Weiche kann die Straßenbahn auf ein anderes Gleis umgeleitet werden. Unglücklicherweise befindet sich dort eine weitere Person. Darf (durch Umlegen der Weiche) der Tod einer Person in Kauf genommen werden, um das Leben von fünf Personen zu retten?

    Übertragen auf die Sendung ist das dann:
    Ein Flugzeug mit entführten Passagieren droht, in ein Stadion voller Menschen einzuschlagen. Durch den Abschuss des Flugzeugs kann der Tod der Menschen im Stadion verhindert werden. Darf (durch den Abschuss des Flugzeugs) der Tod der Passagiere in Kauf genommen werden, um das Leben von 70.000 Menschen zu retten?

    Im Trolley-Experiment ist es ja noch recht kniffelig. Da gibt es die utilitaristische Sicht, die davon ausgeht, dass man durch die Entscheidung, den Tod des einzelnen in Kauf zu nehmen, viele Leben rettet und das mehr Leben mehr Wert sind, als weniger Leben. In Star Trek wird das immer wieder thematisiert, in der Rolle von Spock, der streng utilitaristisch argumentiert: "The needs of the many outweigh the needs of the few." Dagegen steht das Recht des Individuums, dessen Würde unantastbar ist.

    Der wesentliche Unterschied zum Trolley-Experiment ist, dass (wie oben korrekt geschrieben) die Menschen im Flugzeug ohnehin sterben werden. Für sie gibt es keinen guten Ausweg aus dieser Situation. Aus diesem Grund hat aus meiner Sicht auch die Unterscheidung zwischen Handlung und Unterlassung keinen Bestand. Der Pilot hat aus meiner Sicht ethisch korrekt gehandelt. Er hat allerdings gegen geltendes Recht verstoßen.

    Und vielleicht etwas Off-Topic, aber in der Realität sehr viel näher und relevanter:
    Wie sieht's denn eigentlich bei selbstfahrenden Autos aus? Das Experiment kann man nämlich noch weiter adaptieren:
    Ein selbstfahrendes Auto fährt die Straße entlang. Gegenüber kommt ein Auto mit Familie ins schleudern und gerät auf die Gegenfahrbahn. Der Aufprall hätte mit hoher Sicherheit den Tod der Familie zur Folge. Das selbstfahrende Auto könnte theoretisch nach rechts ausweichen, würde dort aber einen Fahrradfahrer erfassen, der diesen Aufprall ebenfalls mit hoher Sicherheit nicht überleben würde. Wie entscheidet das Auto? Und viel entscheidender: warum entscheidet es so? Und wer hat es programmiert?

    Darf der Programmierer entscheiden, wie das Auto in einer solchen Situation entscheidet?

    Our deepest fear is not that we are inadequate. Our deepest fear is that we are powerful beyond measure.
    It is our light, not our darkness that most frightens us.

  • Und vielleicht etwas Off-Topic, aber in der Realität sehr viel näher und relevanter:
    Wie sieht's denn eigentlich bei selbstfahrenden Autos aus? Das Experiment kann man nämlich noch weiter adaptieren:
    Ein selbstfahrendes Auto fährt die Straße entlang. Gegenüber kommt ein Auto mit Familie ins schleudern und gerät auf die Gegenfahrbahn. Der Aufprall hätte mit hoher Sicherheit den Tod der Familie zur Folge. Das selbstfahrende Auto könnte theoretisch nach rechts ausweichen, würde dort aber einen Fahrradfahrer erfassen, der diesen Aufprall ebenfalls mit hoher Sicherheit nicht überleben würde. Wie entscheidet das Auto? Und viel entscheidender: warum entscheidet es so? Und wer hat es programmiert?

    Darf der Programmierer entscheiden, wie das Auto in einer solchen Situation entscheidet?

    Das ist ein großes Probleme für die Automobilbranche das weiß ich aus erster Hand.

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  • Ein Flugzeug mit entführten Passagieren droht, in ein Stadion voller Menschen einzuschlagen. Durch den Abschuss des Flugzeugs kann der Tod der Menschen im Stadion verhindert werden. Darf (durch den Abschuss des Flugzeugs) der Tod der Passagiere in Kauf genommen werden, um das Leben von 70.000 Menschen zu retten?

    Nun man hat schon Leute wegen wirtschaftlicher und staatlicher Interessen über die Klinge springen lassen......

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