Bitte versteht mich zunächst mal nicht falsch, ich finde die aktuelle „Lösung“ wirklich nicht glücklich – und ich bin definitiv kein Verfechter einer „starken Lufthansa“. Ich finde das Thema sehr sehr schwierig, eben aufgrund der angesprochenen moralischen Verantwortung, und Mist ist immer schnell geschrieben, vor allem wenn man nicht persönlich betroffen ist.
Ich versuche hier, die aktuelle Lage auf dem Luftverkehrsmarkt in Europa und Deutschland neutral und so nüchtern wie möglich anzuschauen. Zunächst einmal: die Kostenstruktur der Air Berlin KANN schlicht und ergreifend auf diesem Markt nicht erfolgreich sein. Das schreibt/liest sich ja mittlerweile fast wie eine breitgetretene Fußballfloskel, ist aber leider einfach so. Wie extrem die Diskrepanz bei der Air Berlin ist, verdeutlicht der eigene Geschäftsbericht aber auf brutale Weise. Wörtlich:
Man kommuniziert also seinen eigenen Investoren schon ganz offen (und das war ! 2015): Wir erfliegen die Erlöse eines Low-Cost-Carriers zu den Kosten einer Premiumairline. Ganz ehrlich, wenn man es nichtmal schafft, seinen eigenen Geschäftsbericht ein kleines bisschen positiv wirken zu lassen, dann muss man eigentlich schon erkannt haben, dass es ein wirtschaftlich wirklich hoffnungsloser Fall ist.
Um auf die Zahlen selbst zurückzukommen:
Stückkosten Air Berlin: 0,062€ CASK ex Fuel 2016 (Kosten pro Sitzkilometer exklusive Sprit) bei 0,065€ RASK 2016 (Umsatz pro Sitzkilometer).
D.h. Selbst wenn man keinen Cent für Sprit hätte zahlen müssen, wäre man damit schon negativ.
Zum Vergleich:
Lufthansa Passage: 0,081€ CASK ex Fuel
Eurowings: 0,054€ CASK ex Fuel
Wizzair: 0,026€ CASK ex Fuel
Ryanair: 0,021€ CASK ex Fuel
Quellen sind jeweils die Geschäftsberichte bzw. Investor Relations Präsentationen der Airlines.
Da der Sprit hier bisher exkludiert ist, sind die größten Kostenpunkte oben Fluggerät + Maintenance, Fliegendes Personal und administratives Personal. Auch wenn man das kaum glauben mag, aber auch Ryanair und Wizz können nur in kleinem Maße (Masseneinkauf, einheitliche Flotte, etc.) am ersten Punkt sparen. Wie sie am zweiten Punkt sparen ist glaube ich bekannt. Und am dritten Punkt wird halt massiv durch Nicht-vorhanden-sein (bzw. das Minimum, mit dem sie arbeiten, wird in Niedriglohnländern eingestellt etc. etc. etc.) gespart.
Aus einer Präsentation von Ryanair (von November 2016) geht außerdem hervor, dass nochmal ca. 1,5-2,5 cent pro ASK für Sprit dazukommen.
Nur mal so am Rande: damit wäre das Umsatzvolumen der Air Berlin nicht mal auf der
aktuellen Kostenstruktur der Eurowings profitfähig.
Unterm Strich muss eben der RASK höher sein als der CASK inkl. Fuel, ansonsten funktioniert eine Airline nur mit staatlichem oder Etihad’schem Support. D.h. du musst entweder den RASK hoch halten oder eben den CASK runter drücken. Auf das Niveau W6/FR wirst du mit moralisch erträglichen Methoden nicht kommen. Und für das hochpreisige Segment, das die Lufthansa profitabel hält, ist soweit ich das bewerten kann, auch noch das letzte Prozent Nachfrage übererfüllt. Mit der Kostenstruktur wachsen geht eben nur, wenn auch die Umsatz(Yield)Struktur entsprechend wachsen. Genau das wird aber insbesondere auf der Kurzstrecke nicht möglich sein, und die Trends zeigen, dass auch die Langstrecken-Yields signifikant nach unten gehen. Stichwort Norwegian International, Soot, WestJet, etc. Es gibt eben keinen großen Markt mehr von Menschen, die bereit sind, für ein bisschen mehr Komfort auf 7-10h 300-500€ mehr zu bezahlen als nötig.
Die Lufthansa hat das in den letzten Jahren ja selbst erkannt und so langsam, wie es die Lufthansa eben tut, angefangen, ihr Premiumprodukt zu fokussieren und zu verschlankern und gleichzeitig eine – in Teilen – wettbewerbsfähige Alternative zu schaffen.
Die Kostenaufstellung oben zeigt für mich eigentlich, dass die Eurowings bei den Umsatzvolumen, die die Air Berlin gerade generiert, kostenmäßig am absoluten Maximum operiert. Da bleiben dir aktuell noch 1,1 Cent pro ASK für Sprit übrig, wenn das ganze profitabel sein soll, und die Spritpreise werden ja auf lange Sicht auch eher wieder steigen. Gleichzeitig operiert die Eurowings für mein Verständnis moralisch am absoluten Minimum. Dass es da nicht läuft wie bei den schönen alten Netzwerkairlines ist klar – aber es gibt weder Pay to Fly noch irgendwelche Sozialversicherunsgtricksereien, klar, Österreichisches Unternehmen und so geht auch in die Richtung, aber genau das gleiche wollte man bei der Air Berlin ja auch erreichen, möglichst viele Österreichische Arbeitsverträge. Und Österreich ist weder Ungarn, noch Irland oder gar Singapur.
Deswegen, um mal zu einem Punkt zu kommen, glaube ich, dass ganz nüchtern betrachtet, auch wenn es wirklich weh tut, die Eurowings unter dem Strich vielleicht nicht der schlechtestmögliche Kompromiss in der aktuellen Situation ist? Wie gesagt, in Anbetracht der Tatsache, dass man weder davon ausgehen kann, dass Sprit bald nichts mehr kostet, noch davon, dass die Yields plötzlich wieder nach oben gehen, bräuchte auch die Eurowings eher noch niedrigere Kosten als höhere, wenn man auf lange Sicht nachhaltig erfolgreich sein will. Der Geschäftsbericht von EasyJet zeigt dazu deutlich, dass auch die irgendwo zwischen ihren Kosten und den Preisen der (noch) billigeren Konkurrenz gefangen ist. Ob EasyJet da die so viel bessere und v.a. nachhaltigere Möglichkeit ist? Und auch EasyJet wird wohl kaum die Bodenjobs in Berlin erhalten (können).
Wenn man von den Menschen dahinter spricht, übernimmt der LH Konzern damit – logisch – eine große moralische Verantwortung. Ich bin mir auch im Blick auf vergangene Personalfragen bei diesem Konzern recht sicher, dass es zu Problemen und Ungerechtigkeiten kommen wird. Das wird ne richtig dicke Aufgabe für die LH, die Leute so gut wie möglich zu integrieren.
Ich frage mich allerdings ernsthaft, ob es eine bessere Alternative gibt im Moment? Ich sehe jedenfalls keine.
Und ganz kurz noch zum Stichwort Konzernmonster:
41% Marktanteil auf dem Heimatmarkt, 3% Marktanteil global? Sehe ich um ehrlich zu sein noch nicht als super problematisch an. Habe eben nochmal Air France KLM in NL+FR mit LHG in DACH verglichen, da wäre die LHG selbst mit der Air Berlin integriert in einer sehr viel weniger dominanten Position RoyalToto . Zumal der Wirtschaftsschutz für den Luftverkehr tatsächlich auf einer extrem granularen Ebene arbeitet, da werden tatsächlich einzelne Städtepaare angeschaut und wenn nötig reguliert. Dabei passieren zum Teil auch so lustige Sachen wie auf dem Markt FRA-ZRH.
Marktanteil Lufthansa-Konzern: 100%
Beim Kartellamt haben alle Alarmglocken geschlagen und die LH Gruppe musste daraufhin 40% ihrer für diese Route genutzten Slots an Wettbewerber abgeben. Die haben sich die Slots gekrallt, und nach einem halben Jahr (AB) die Strecke eingestellt und die Slots für profitablere Strecken genutzt. Das Problem ist eben, dass wir hier über Strecken reden, die eigentlich aus reinen Hubbing-Gründen bedient werden. Als reine Origin & Destination-Strecke sind die doch völlig uninteressant, da die Kosten im Vergleich zum Nutzen gegenüber der Bahn viel zu hoch sind.
Ausnahme davon sind m.m.N. nur sehr wenige Strecken in Deutschland, entweder die Ost-West-Extreme oder die Nord-Süd-Extreme (sprich MUC und BER Verbindungen im Großen und Ganzen). Und sollte hier die LH Gruppe wieder eine Monopolstellung erreichen, bin ich mir tatsächlich relativ sicher dass a) das Kartellamt eingreifen wird und b) sich Mitbewerber diese Chance nicht nehmen lassen werden.
Und, leider, befürchte ich, dass das Mitbewerber sind, die zum Thema moralischer Umgang mit Mitarbeitern nochmal eine geringfügig andere Vorstellung haben als die LHG / Eurowings.