Sehr genial
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Ich bin Stewardeß. Ich bin die, die zu Ihnen kommen muß, wenn Sie auf die kleine schwarze Frau auf dem gelben Schalter über ihrem Kopf drücken. Reisende lieben Stewardessen. Aber Stewardessen lieben nicht alle Reisenden.
Ich bin Stewardeß. Ich bin diejenige, die zu Ihnen kommen muß, wenn Sie auf die kleine schwarze Frau auf dem gelben Schalter über ihrem Kopf drücken. Ich habe einmal gehört, daß Architekten ihre Häuser am liebsten anschauen, wenn noch keiner in ihnen wohnt. Beim Fliegen ist das eigentlich das gleiche. Wenn es ganz ruhig ist an Bord der Boeing 747, ist es am schönsten - wie in einem Theater, kurz bevor es öffnet. Auf jedem der 384 Sitze liegt ein weißes Kissen, die Toiletten glänzen, kein Krümel stört die Sauberkeit. Wie Schauspielerinnen, die auf ihren Auftritt warten, laufen die Stewardessen hin und her, streifen die Uniformen glatt, blicken ein letztes Mal in den Spiegel, um Make-up und Lächeln zu überprüfen, dann hebt sich der Vorhang, und die Show beginnt.
Man hört, wie sie lärmend durch den Tunnel rumpeln, lange noch bevor man sie sieht. Passagiere. In hastigen Schritten nähern sie sich dem Flugzeug und überschwemmen es im nächsten Augenblick wie eine gewaltige Flutwelle.
Der Inder
"Water water quick" und, nach einer längeren Pause, ein zaghaftes "please" sind die ersten Worte, die der Reisende aus Indien von sich gibt, kaum hat er das Flugzeug betreten. Die Stewardeß möchte den Durstigen natürlich von seinen Leiden befreien und ihm ein Glas Wasser reichen, aber wie soll der Mann den Plastikbecher halten? Mit der rechten Hand umklammert er eine braune, ausgebeulte Tragetasche, vollgestopft mit Souvenirs, die linke Hand versucht einen zerschlissenen Rollenkoffer unversehrt durch den Gang zu befördern, und über den Schultern hängt noch viel mehr Gepäck. Kein Platz für einen Plastikbecher.
Also folgt ihm die Stewardeß, den Becher in der rechten Hand, bis ans Ende des Flugzeugs. Dort findet ein Tausch statt, Wasser gegen Gepäck: Der Reisende trinkt, die Stewardeß verstaut. Später, wenn es dunkel in der Kabine ist, lächelt der Inder sanft, wackelt leicht mit dem Kopf und bittet um eines seiner zehn Gepäckstücke, von dem nur noch die Stewardeß weiß, wo es ist. Inder reisen nicht nur mit vielen Taschen, während des Fluges sehen sie immer mal wieder nach, ob noch alles da ist. Einige verstecken in ihrem Gepäck auch selbstgekochte Suppen, die sie aus Mißtrauen gegen fremdartige Nahrungsmittel mitführen; jedenfalls riecht es so. Einige verstecken unter ihren Gepäckhalden Kinder, denen wegen des Suppengeruchs schnell schlecht wird, weswegen sie, wenn sie von der Stewardeß aus dem Gepäckhaufen geborgen werden, dieser gerne auf die frisch gereinigte Uniform kotzen. Eine zweite Jacke ist nicht an Bord.
Der Japaner
In 15 Minuten ist alles vorbei. Knapp 400 Japaner sitzen auf ihren Plätzen, ohne zu reden, ohne sich zu bewegen. In den letzten sieben Tagen haben sie den Eiffelturm geknipst, sich vor Neuschwanstein verbeugt, ihre letzten Yen in den Trevibrunnen geworfen und in sämtlichen Designerläden Europas eingekauft. So oft sind sie ein-, aus-, und wieder eingestiegen, daß sie den Vorgang perfekt beherrschen: Flink trippeln sie an den Stewardessen vorbei, kichern schüchtern und halten sich dabei die Hand vor den Mund. Oder sie winken hektisch, wobei die Hand ganz nah an die Brust gepreßt, um 90 Grad nach außen gedreht und geschüttelt wird, was aussieht, als wollten sie die Luft polieren.
Ihre Hermes-, Gucci- und Pradatäschchen verstauen sie so sorgfältig, daß bloß nichts zerknüllt. Nie vergißt der Japaner, seine Schuhe auszuziehen; er stellt sich auf den Sitz, kramt in seinem Gepäck und schlüpft in seine kleinen gefütterten Pantoffeln, die er während des gesamten Fluges anläßt. So schlurft er dann durch die Gänge. Japaner schlafen immer gleichzeitig ein. Leuchten die Anschnallzeichen, wachen sie ebenfalls gleichzeitig auf, es klackt, dann sind sie angeschnallt und gleich darauf wieder eingeschlafen. Wenn einer besonders fest schläft, wird es von seinem Nachbarn liebevoll wachgeprügelt. Die Stewardessen lassen sie allerdings in Ruhe.
Der Deutsche
Deutsche lieben ihre goldene Vielfliegerkarte. Die Karte heißt "Senator-Card", was nach Macht klingt. Dummerweise gab es auch schon in Rom unter Cäsar 900 Senatoren, und wenn die schon Flugzeuge gehabt hätten, hätten sie auch nicht alle vorn sitzen können. Heute ist das nicht besser, es gibt sehr viele Senatoren im Luftraum, aber das begreifen sie nicht. Sie heben ihre Karte neben vielen anderen glänzenden Kärtchen in einem feinen Lederportemonnaie auf, stolz präsentiert der glückliche Besitzer der Stewardeß gleich beim Einsteigen seinen Schatz, er glaubt anscheinend, sein Plastikkärtchen sei eine rechteckige Wiedergeburt der bezaubernden Jeannie und erfülle jeden Wunsch.
Ist in der Business Class nicht noch ein Platz frei? Oder vielleicht in der "First"? Für den Herrn Senator? Die Stewardeß ist hingegen nicht Jeannie und empfiehlt dem Herrn Senator, seinen Sitzplatz 49 C zu testen, einen wunderbaren Gangplatz mit viel Beinfreiheit. Das macht er auch. Sekunden später drückt er auf den gelben Schalter mit der kleinen schwarzen Frau drauf, zeigt auf das Gepäckfach über seinem Kopf und nörgelt. Dort liegt der braune Aktenkoffer seines Sitznachbarn, ansonsten ist das Fach leer. Aber der Koffer liegt genau über seinem Kopf, in seinem Luftraum, und der, das weiß der Senator von seinem umzäunten Grundstück daheim, gehört auch ihm, und wenn der Senator etwas gar nicht mag, dann ist es das Eindringen unbefugter Objekte in sein Hoheitsgebiet. Also muß der Koffer woanders hin. Die Stewardeß will gehen, aber darf nicht. Der Senator will wissen, ob der Flug auch pünktlich ist. So wie es jetzt aussieht, ja, sagt die Stewardeß. Aber ob er ganz sicher gehen könne, will der Senator wissen. Nein, sagt die Stewardeß. Aber was soll das denn heißen, sagt der Senator und schaut grimmig in den leeren Luftraum über seinem Kopf.
Der Argentinier
Zuerst steigt der Mann ein, dicht gefolgt von seiner hübschen Frau und seinen vielen hübschen Kindern, auf die er gleichmäßig das sehr schwere Gepäck verteilt hat. Auf dem Weg zu seinem Sitzplatz bleibt er gerne immer mal wieder stehen, um sich mit einem seiner Landsleute zu unterhalten, was den 300 Passagieren, die ganz langsam hinter ihm einsteigen, gar nichts ausmacht, denn auch sie unterhalten sich gerne noch ein wenig. Der Stewardeß macht das viel aus. Nervös guckt sie auf die Uhr und wünscht sich, immer nur nach Tokio zu fliegen.
Nach 45 Minuten wird sie noch nervöser, die Familien haben sich mit ihren vielen Freunden in der Bordküche versammelt und scheinen auf ein Stück Rind zu warten. Nichts weist darauf hin, daß sie sich gleich setzen wollen. Manche geben auch komische Laute von sich wie "psst psst", um die Stewardeß auf sich aufmerksam zu machen. Die reagiert aber nicht, weil sie dieselben Geräusche von sich gibt, wenn sie ihren Hund ruft. Irgendwann sitzen die Argentinier dann doch, die Türen schließen sich, für einen kurzen Moment ist es wieder still und die Stewardeß fühlt sich endich wieder wie der Architekt im leeren Haus.