30 Jahre Mauerfall, Zeit oder wieder mal Zeit zurückzublicken, sich zu erinnern. Wer hat von euch welche Erinnerungen an diesen Tag und die Tage danach. Wer hat es wie miterlebt, was ist geblieben, woran erinnert man sich?
Zum Zeitpunkt des Mauerfalls war ich 18 Jahre alt, hatte an dem Tag zunächst Normaldienst und habe abends dann im Fernsehen die berühmte Pressekonferenz gesehen. Am nächsten Tag, einem Freitag, hatte ich dann Spätschicht, aber das Thema des Tages war natürlich das, was sich zuvor spät abends ereignete, und was ja nicht mehr aufzuhalten war. Ob ich die eigentliche Öffnung der zahlreichen Grenzübergänge dann abends noch verfolgt hatte, weiß ich nicht mehr, denn bei uns war nur das dritte Programm aus Niedersachsen zu empfangen, nicht aber der SFB, aber an dem Freitag bekam ich zum Dienstbeginn in der Lokdienstleitung Magdeburg schon mit, was da des nachts noch passierte, und dass man für den nächsten Morgen den Städteexpress als Sonderzug nach Berlin Lichtenberg fahren lassen wollte, auch wer bereits dafür zum Dienst eingeteilt war. Somit stand für mich fest, was ich am nächsten Tag, dem Beginn eines freien Wochenendes, machte. Abends erzählte ich das meinen Eltern, die sich gerne anschließen durften, aber nur meine Mutter wollte dann (wohl auch nur mir zu Liebe). Wie sich das Verkehren des Sonderzuges, welcher ja eigentlich nur von Montag bis Freitag als „Apfelsinenexpress oder Bonzenschleuder“ zwischen den Bezirksstädten und Berlin Lichtenberg fuhr, ohne damaliges Internet, WhatsApp oder Zeitung (war ja nicht mehr zeitnah zu lesen) rumgesprochen hatte, keine Ahnung, jedenfalls der Bahnsteig war schwarz vor Menschen. Nun, als Reichsbahner habe ich meine Mutter auf dem Bahnsteig postiert, mich in die Abstellgruppe geschlichen, den Kontakt zur Zugbegleiterin gesucht und mit einer erfundenen Geschichte „Ach ich dachte xxx soll den Sonderzug begleiten“ den Smalltalk aufgebaut. Die junge, nette Zugführerin reagierte ebenso spontan „ja, aber der konnte wohl dann doch nicht, da haben sie mich gefragt…“. Das Eis war zumindest gebrochen, und schnell hatte ich auch den Segen, mich samt Mutter in die 1. Klasse zu setzen, eine Fahrkartenkontrolle wäre eh nicht möglich gewesen. Der Zug wurde dann mit mir bereits im Inneren an den Bahnsteig 2 des Magdeburger Hbf rangiert, und ich musste natürlich aus dem Fenster gucken, um meiner Mutter, die ja noch nicht wusste, ob mein Versuch funktioniert hatte, zu zeigen, wo wir nun saßen. Die empörten Rufe auf dem Bahnsteig ob meines Anblickes, habe ich vernommen, aber großzügig ignoriert. Der Zug setzte sich pünktlich und mit 200% Belegung in Bewegung, und irgendwann standen wir vor dem Grenzübergang Invalidenstraße. Entgegen der Erwartungen war es relativ leer, und ohne warten zu müssen, ging es erstmals für mich in den Westteil. Im Gegenteil zu meiner Mutter, welche die Teilung ja auch miterleben musste, nahm ich das Ganze relativ normal und gefasst auf. Es standen dort bereits Wagen mit Marktschreiern großer Ketten, welche Kaffee und Mandarinen verteilten, aber auch Bananen in die Menge warfen. Es wirkte wie im Zoo und schlimm, wie Menschen ihre Hände zur „Fütterung“ hoben und bettelten.
Da wir Bekannte im Westteil hatten, suchten wir ein Telefon, damals gab es noch Telefonzellen mit Telefonbuch, und meldeten den erfolgreichen Grenzübertritt. Ob sie wirklich damit gerechnet hatten, dass wir so schnell nach Grenzöffnung bei Ihnen aufkreuzen würden? Ich hatte das Gefühl, eher nicht. Dennoch war es ein herzliches Wiedersehen, diesmal endlich mal auf der anderen Seite des Zaunes. Nach einem ersten Glas Sekt, ging es von der Konradshöhe in Tegel erstmal zurück in den Stadtteil Tegel, um das Begrüßungsgeld abzuholen. Dabei mussten uns unsere Bekannten förmlich dazu nötigen, denn darauf kam es uns wirklich nicht an, ob man das nun glaubt oder nicht.
Die Bank war dort jedenfalls angnehm leer, und als Begrüßungsgeschenk durften wir uns im Nachgang jeder noch ein Geschenk unserer Bekannten bei Karstadt aussuchen. Was nehmen, wenn man quasi wie ein Kind mit großen, leuchtenden Augen vor dem Schaufenster einer scheinbar unendlichen Konsumwelt steht?! Viel überlegen konnte man auch nicht, wäre viel zu viel gewesen, was man eigentlich hätte gebrauchen können. Als Eisenbahner lag da aber genau das richtige vor mir, und so war es förmlich das Erste, was mir in die Hand fiel und passte, ein Eisenbahnatlas der Bundesbahn. Heute sieht man auch ihm die 30 Jahre an, aber ich würde ihn nie weggeben.
Doch was wäre ein erster Grenzübertritt ohne das Markenzeichen der westlichen Welt, ein Stück totes Fleisch mit Salat und Soße zwischen 2 Sesambrötchenhälften. So mussten wir also auch diese Bewährungsprobe in Form eines Doppel Whoppers bei Burger King in Berlin Tegel bestehen und genossen es auch.
Abends ging es dann mit der BVG in die Innenstadt zum Ku´damm, und auch wenn wir quasi 2 Tage zu spät waren, es herrschte auch an diesem Samstagabend immer noch Ausnahmezustand. Menschen über Menschen auf den Straßen und einfach Wahnsinn, diese Eindrücke, dieses Lebensgefühl ….. Es wurde eine lange Nacht, bevor es zurück nach Tegel ging. Wirklich schlafen konnte man eh noch nicht, so gab es als Zugabe auch noch ein Stück Fernseh „Highlight“ auf einem der damaligen privaten Sender in Westberlin „Unterm Dirndl wird gejodelt“, doch dann kam der Schlaf ganz schnell.
Sonntagabend verließen wir Berlin dann wieder, schließlich musste ich Montag wieder zum Dienst, was für mich außer Frage stand!
Ich war in den kommenden Wochen noch öfters bei unserer Bekannten und habe auch die Eröffnung neuer Grenzübergänge, so zwischen Frohnau und Hohen Neuendorf, miterlebt, aber so schön wie an diesem, ersten Wochenende im "Westen" habe ich es nie wieder empfunden.
Heute nun habe ich länger in der BRD gelebt, als wie in der DDR, sehe im Fernsehen die Bilder und auch die heutige Generation, die nur noch aus dem Schulunterricht glaubt zu wissen, wie es damals war, im Wendeherbst ´89 und davor in einem Land, welches es nicht mehr gibt. Viel zu oft kommt da eher verklärtes Halbwissen aus den Kindermündern und doch sind sie es, die eines Tages ihrerseits auch dieses Erbe bewahren müssen und sollen, so wie wir auch das Erbe des 2. Weltkrieges und des Nationalsozialismus in Erinnerung und Gedenken an die Opfer bewahren, ohne dass wir jemals wirklich erleben mussten, wie es war. So hat jede Generation ihr Erbe, denn eines steht fest, vergessen werden darf nichts und das Gut der Freiheit und des Friedens ist nicht selbstverständlich!