Rezept vom 16.07.2014 - AYPY

  • Papua-Neuguinea, Kannibalismus oder Fastfood

    Noch vor 100 Jahren gab es Kopfjagd und Kannibalismus in weiten Teilen Melanesiens. Die Zeiten haben sich geändert. Jetzt dominieren in der Südsee Fastfood und Konserven.

    Melanesien ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Vieles hat sich durch den Einfluss der westlichen Zivilisation geändert, darunter auch die Essgewohnheiten. Sind es heute chinesische Frühlingsrollen, gebratener Reis mit Huhn, Fisch and Chips, Ei-Tomaten-Sandwiches und vor allem Fastfood-Produkte nach US-amerikanischem Vorbild, galten vor hundert Jahren Hirn und Oberschenkel-Filets aus Menschenfleisch als kulinarische Highlights. Kannibalismus, die Geißel der Südsee, war extrem populär auf der Gazelle-Halbinsel, daran konnte selbst dreißig Jahre deutsche koloniale Gründlichkeit nichts ändern.

    Die Tolai waren wilde Kannibalen
    Fressen oder gefressen werden, war die Devise der Tolais. Bestand Appetit, schlich man in den Urwald und legte sich auf die Lauer, um im Morgengrauen einige Feinde zu töten oder Gefangene zu machen. Besonders beliebt waren lebende Opfer, die man teilweise mästete, um sie zum geeigneten Zeitpunkt zu schlachten. Um Fluchtversuche vorzubeugen, zerschlug man den Gefangenen die Schienbeine. Andere wurden gemartert. Nicht, um sich an diesem öffentlichen Spektakel zu ergötzen, nein – durch die Folterung wollte man die Fleischqualität verbessern. Mitunter war es den Frauen gestattet, das Opfer zu schlagen oder zu treten – vielleicht, um es weich zu klopfen. Im entscheidenden Moment bohrte ein auserwählter Krieger dem Gefolterten langsam ein Messer ins Herz. Chief Tonton, ein Häuptling von der Westküste Neu-Irlands, hatte eine besonders ekelhafte Methode des Kannibalismus entwickelt: Er ließ seinen Gefangenen Gliedmaße abschlagen, zubereiten und verspeiste sie genüsslich vor den Augen der noch lebenden Opfer.

    Melanesier garten Menschenfleisch im Erdofen
    Egal ob Mann, Frau oder Kind, die Zubereitung war immer gleich. Der Körper wurde tranchiert, die einzelnen Teile in Bananenblätter gewickelt, mit Bastfasern verschnürt und mit Taro, Yams oder Süßkartoffeln im Erdofen gegart. Für Häuptlinge und deren Vorliebe für erlesene Leckerbissen mischte man Hirn mit Sago und Kokosnusscreme und servierte es als Hors d’oeuvre. Weiße, auch Langschweine genannt, standen eher selten auf der Speisekarte. Die melanesischen Schlemmermäulchen empfanden sie als zu salzig, außerdem fürchteten sie sich vor böser Magie und negativen spirituellen Einflüssen, die den Weißen nachgesagt wurden.

    Strafexpeditionen gegen die Tolai
    Probate Mittel, um die Fresslust auf eigene Leute einzudämmen, waren die Strafexpeditionen gegen die Eingeborenen, Exekution der Beteiligten und die Zerstörung ihrer Dörfer. Den Gewehren und Pistolen der von den deutschen Kolonialbeamten angeführten Polizeitruppen hatten die Tolai wenig entgegen zu setzen, deshalb endeten die Scharmützel stets zu Gunsten der Weißen. Doch es gab einen Eingeborenen, der versuchte, das Ungleichgewicht der Kräfte zu ändern, den Tolai Talavai. Dieser Fiffikus gab vor, eine kugelsichere Farbe erfunden zu haben, die er aus der roten Vulkanerde der Insel Matupit herstellte und auf den Märkten Rabauls zum Preis von einem Faden Muschelgeld – damaliger Gegenwert etwa zweihundert Kokosnüsse oder drei Reichsmark – verkaufte.

    Überfall auf Queen Emmas Plantage
    Um seiner Klientel die Wirkung seiner Wunderfarbe zu demonstrieren, beschoss er sie mit seinem Vorderlader, den er mit Kernen der Acerolakirsche geladen hatte. Das tat nicht sehr weh, hinterließ aber einen sehr überzeugenden roten Fleck auf der Haut. Der Handel boomte und Talavai wurde reich. Um den Effekt der Farbe zu verbessern, empfahl dieser Scharlatan zudem den totalen Verzicht auf Sex. Im guten Glauben an ihre Unverwundbarkeit überfielen die Tolai wenig später Queen Emmas Plantage in Ralum und töteten sechs Arbeiter. Im Gegenzug erschoss die vom deutschen Gouverneur Albert Hahl ausgesandte Strafexpedition alle beteiligten Tolai, darunter auch den geschäftstüchtigen Rädelsführer Talavai.

    Kokopo und die Trägheit der Tropen
    Das alles geschah in der Nähe der heutigen Provinzhauptstadt Kokopo, vielleicht fünf Autominuten entfernt vom Kalami House of Food, wo man in einem Mini-Gärtchen an blau bemalten Kabeltrommeln hockt, die als Tische dienen. Man schlürft Eistee oder Cola und verschmilzt mit der Trägheit der Zeit. Ganz Kokopo gähnt, räkelt sich, dehnt sich, streckt sich, findet routiniert seinen Rhythmus, den gewohnten Takt der Langsamkeit. Unten, am schmutzig-tristen Strand, liegen Bananen-Boote. Ihre Kapitäne schlafen im Schatten der Fiberglasrümpfe. Von den Duke of York Islands kommend, sind sie im Morgengrauen eingetroffen, überladen mit Bananen, Kokosnüssen und Zitrusfrüchten, die jetzt auf dem Markt verkauft werden. Vorbei polternde Minibusse beschallen die staubigen stillen Straßen mit wummerndem Reggae. Die kunterbunten Chinaläden haben noch geschlossen, nur die Tankstelle ist geöffnet. Vor der Zapfsäule ein uralter Pickup. Der Fahrer lässt sich für zwanzig Kina Diesel in den Tank pumpen. Kein Tolai käme auf die Idee voll zu tanken – nicht bei den Straßen, nicht bei dem Preis. Public Motor Vehicles (PMV) karren Leute herbei: Schulkinder, Marktweiber, Betelnusskauer und Müßiggänger, die lieber in Kokopo abhängen, als im heimischen Dorf. Ein anderer Tag im Paradies.

    Quellen: East New Britain Cultural Centre, eigene Recherche in Kokopo

    http://suite101.de/article/papua-…82#.U8_p1mO9n7w

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